Mit Schwimmflügeln im Bett | Württembergischer Fußballverband e.V.

Spendenaktion Ahrtal Erster Besuch in der geschädigten Region macht deutlich: Diese Hilfe darf nicht zu Ende gehen, sondern muss weiter laufen. Von Uli Bernhard

Mit Schwimmflügeln im Bett

Die Bilder sind bekannt. Eindrücke und Schicksale vieler der Betroffenen hat man hundertfach schon gehört. Und trotzdem ist es anders, wenn man selbst vor Ort ist, um sich ein ungefiltertes Bild der Flutkatastrophe im Ahrtal zu machen. Karl Schäfer aus Ergenzingen und Uli Bernhard vom Fußballbezirk Nördlicher Schwarzwald waren am Wochenende dort, um in erster Linie zu helfen. „Unvorstellbar“ war unisono deren Kommentar, als sie wieder zu Hause angekommen sind.

Bei der Ahrtaltour haben Schäfer und Bernhard Sachspenden vorn rund 3000 Euro (500 Liter Freibier der Hochdorfer Brauerei inklusive) und einen ersten Spendenscheck in Höhe von 8000 Euro überreicht. Weil die kurz vor Weihnachten begonnene Spendenaktion noch weiter andauern wird, werden auch weitere Gelder in die betroffene Region fließen. Die nächsten 2500 Euro haben sich schon wieder auf dem Spendenkonto angesammelt.

„Unvorstellbare Wassermassen haben in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 die Region Trier und das Ahrtal an der Eifel getroffen“. Das ist die Meldung, die sich heute, sieben Monate nach den Geschehnissen, nachlesen lässt. Was ist seither passiert? Wie weit sind die Wiederaufbauarbeiten fortgeschritten? Wo sind die Millionen, die gesammelt und gespendet wurden, um die so oft propagierte „unbürokratische und schnelle Hilfe“ zu leisten?

Ohne die Hilfe der freiwilligen Helfer wären wir vollends abgesoffen.
Dieter Sesterheim
Vorsitzender des Bezirk Rhein-Ahr (Fußballverbandes Rheinland)

Viele der Fragen sind auch Monate danach nur in kleinen Ansätzen zu beantworten. Dieter Sesterheim, Vorsitzender des dortigen Fußballverbandes Rheinland, macht eine Pauschalantwort: „Ohne die Hilfe der vielen freiwilligen Helfer wären wir vollends abgesoffen“, sagt der knapp 67-jährige mit einer großen Portion Enttäuschung in der Stimme.

Wenn man durch die Region fährt, kann man nur erahnen, wieviel Schaden die Katastrophe angerichtet hat. Die einst so kleine Ahr hat sich mittlerweile ein neues Flussbett geschaffen. An beiden Ufern sind Leerflächen zu sehen, die künftig als Überschwemmungsgebiete freigelassen werden sollen. Vor sieben Monaten standen hier noch Wohnhäuser. Viele von ihnen werden nicht wieder aufgebaut. Auch Sportplätze hat es arg in Mitleidenschaft gezogen. Auch bei den dort einst beheimateten Sportvereinen gilt: Wiederaufbau gibt es nur an anderer Stelle.

Dieter Sesterheim berichtet, dass von seinen insgesamt 15 zu betreuenden Vereinen der Region nahezu alle alles verloren haben. Ein paar Sportheime stehen noch. Sie sind entkernt worden, in den Wintermonaten war Trocknen der Innenräume angesagt, verbunden mit dem Wunsch, dass alles wieder aufgebaut werden kann. Vieles davon ist Wunschdenken, weil die Schäden zu groß sind, oder an gleicher Stelle nicht wieder gebaut werden darf. Die Kommune hat die Region in grüne und rote Gebiete eingeteilt. Rot bedeutet das Aus aller hier geplanten Baumaßnahmen.

Viele Vereine bilden Spielgemeinschaften und werden das „Projekt Wiederaufbau“ gemeinsam anpacken, Bei bereits bestehenden Spielgemeinschaften wird auch so verfahren. Sesterheim sagt, dass die ersten Planungsschritte schnell vonstattengingen. Doch je weiter die Zeit fortschreitet, desto größer werden die Hürden. Ein Ziel ist, dass Kunstrasenplätze entstehen sollen. Aber die werden nur bedingt oder gar nicht bezuschusst, weil vom Verband aus nur für die Wiederherrichtung alter Plätze in Urzustand Gelder locker gemacht werden.

Schätzungen des Kreisvorsitzenden sagen, dass frühestens 2024 der Spatenstich für ein erstes neu zu schaffendes Sportgelände erfolgen wird. „Wahrscheinlich ist das sogar noch zu optimistisch gedacht“, vermutet Sesterheim.

Der Pensionär weiß natürlich auch, dass Sportvereine und deren Sorgen nicht das größte Problem im Ahrtal darstellen. Und trotzdem hat er sich zur Aufgabe gemacht zu helfen, wo er helfen kann: „Ich bin da in etwas hineingeschlittert und versuche mich so gut wie möglich einzubringen“, sagt Sesterheim zu seinem neuen Fulltime-Job.

Einfach nur reden

Sesterheim ist dabei nicht nur sportlicher Ansprechpartner, sondern auch eine Art Seelsorger. Er erzählt von einem Besuch bei einem Vereinsvorsitzenden, mit dem er eigentlich Modalitäten für den Weiterbestand führen wollte. „Als zwei Stunden um waren, da merkte ich, dass wir nicht einmal über Fußball gesprochen haben. Der Mann wollte einfach nur reden, sich öffnen, sein ganz privates Schicksal schildern. Das berührt einen enorm“, sagt Sesterheim.

Traumabewältigung ist auch ein Stichwort, das im Ahrtal allgegenwärtig ist. Dort wo die Flut nicht nur alles Hab und Gut vernichtete, kamen auch 134 Menschen ums Leben. Nahezu jeder in der Region hat seine eigene schreckliche Geschichte zu erzählen. Sesterheim schildert die Erzählungen eines etwa zehnjährigen Jungen: Der schlafe seit einem halben Jahr nur noch mit Schwimmflügeln. Weil er noch nicht so gut schwimmen könne und Angst habe, dass so etwas wieder passiert. Der gleichaltrige Freund des Jungen klinkt sich ein und sagt, dass er zum Glück keine Schwimmflügel brauche. Er hatte das Glück, die ganze Nacht auf dem Dach des Elternhauses verbringen zu können, ehe er gerettet wurde.

Bei all dem Leid, das erzählt wurde, und der Art und Weise der Hilfe von Dieter Sesterheim für die Region wurde Karl Schäfer und Uli Bernhard deutlich: Diese hier erbrachte Hilfe kommt an. Direkt bei den Betroffenen. Und auch wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein sei: „Wir machen mit der Spendenaktion weiter und versuchen auch weiterhin Gelder locker zu machen für die Leute, die das bitter notwendig haben“, versprechen Uli Bernhard und Karl Schäfer.