Interview Markus Schmidt | Württembergischer Fußballverband e.V.

Interview mit Bundesliga-Schiedsrichter Markus Schmidt

wfv: Wie muss denn ein Fußballspiel verlaufen, dass Markus Schmidt nach dem Schlusspfiff sagt: „Mensch, heute kann ich mit meiner Leistung echt zufrieden sein.“?

Markus Schmidt: Im Idealfall, wenn die unterlegene Mannschaft mir zu einer guten Leistung gratuliert. Am schönsten ist es, wenn das Spiel auch noch zwei, drei knifflige Situationen hatte, die dann nach Ansicht der Fernsehbilder von mir richtig gelöst wurden.

wfv: Sie sind Stuttgarter, haben auch beim SV Sillenbuch selber früher Fußball gespielt. Wann kam denn erstmals der Wunsch bei Ihnen auf Schiedsrichter zu werden?

Markus Schmidt: Es gibt da jetzt nicht den einen Zeitpunkt, aber mich hat die Schiedsrichterei schon immer fasziniert. Ich war natürlich fußballbegeistert und habe mich als Vereinslinienrichter bei der ersten Mannschaft betätigt. Das war eigentlich ein netter Deal: Als Belohnung gab es in der Halbzeit eine Rote Wurst und dafür hatte der Verein jemanden, der die Aufgabe zuverlässig und mit Spaß ausfüllte. Als sich die Gelegenheit ergab, dass ich zu einem Neulingskurs konnte, hab ich das in die Tat umgesetzt und dann zwei Jahre parallel Fußball gespielt und gepfiffen. Dann wollte und musste ich mich entscheiden und dachte mir, dass ich wahrscheinlich der bessere Schiedsrichter sei. Das hat sich ja zum Glück bewahrheitet.

wfv: Sie sind relativ schnell aufgestiegen und haben dann 2003 ihr erstes Bundesligaspiel geleitet, damals hat Hertha gegen Freiburg gespielt. Welche Erinnerungen haben Sie denn speziell an diesen Tag im August 2003?

Markus Schmidt: Ich weiß, dass es 0:0 ausgegangen ist, dass Fredi Bobic gespielt hat auf Seiten der Hertha, dass es warm war, dass es mir Spaß gemacht hat und dass ich unendlich stolz war. Und ja, ich glaube, es war eine ordentliche Leistung. Aber es waren auch keine allzu großen Herausforderungen in dem Spiel. Die kamen aber dann später.

wfv: Was ist denn entscheidend, ob man es so weit schafft als Schiedsrichter: Ist es Talent? Ist es Glück? Ist es die entsprechende Förderung oder es ist der Wille?

Markus Schmidt: Wahrscheinlich ist es eine gute Mischung. Was man in jedem Fall mitbringen sollte ist Ehrgeiz, dazu ein gewisses Gespür und Talent für das Amt. Neben der Regelkenntnis und körperlichen Fitness braucht es darüber hinaus eben auch viel Erfahrung. Auch aus Fehlern lernt man, sagt der Volksmund – das stimmt, aber keiner will sie machen. Ziel ist es also, die möglichst unbedeutenden Fehler zu machen und aus ihnen für zukünftige Situationen zu lernen.

wfv: Bei Ihnen sind jetzt fast 200 Spiele in der Bundesliga zusammengekommen. Kann man sagen, dass die Spielleitung auch in der ersten und zweiten Bundesliga bei Ihnen inzwischen zu einer gewissen Routine geworden ist?

Markus Schmidt: Ja, ich würde sagen, ich bin viel routinierter geworden. Aber so wie jeder Schauspieler, wenn er auf die Bühne geht, ein gewisses Lampenfieber braucht, ist auch ein Schiedsrichter, wenn er auf den Platz geht, nervös. Natürlich bin ich insgesamt in meiner Art und Weise, Spiele zu leiten, souveräner und ruhiger geworden, aber eine gewisse Nervosität und Anspannung gehört dazu, das fördert die Konzentration und die Leistung.

„Schwierigkeiten gehören dazu“

wfv: Nehmen Sie uns mal mit. Worin liegen denn aus Ihrer Sicht Gemeinsamkeiten zwischen einem typischen Bundesliga-Spieltag und einem Spiel, das ein Schiedsrichter in der Kreisliga leiten muss?

Markus Schmidt: Zunächst sehe ich erstmal wenig Unterschiede: Ich habe im Normalfall bei beiden Spielen Zuschauer, die schreien und ich habe zwei Mannschaften, also zwei Parteien, bei denen ich als Schiedsrichter immer für die eine und immer gegen die andere entscheide. Eine der zentralen Aufgaben eines Schiedsrichters ist es daher, ein Spiel so zu leiten, dass am Ende beide Mannschaften meine Entscheidung akzeptieren. Sie müssen sie nicht immer gut finden, sie müssen sie auch nicht immer klaglos hinnehmen, da gibt es schon einen gewissen Spielraum. Aber in der Bundesliga als auch in der der Kreisliga braucht es eine Spielführung, die dafür sorgt, dass sowohl die Mannschaften als auch die Offiziellen bis hin zu den Zuschauern die Art meines Pfeifens akzeptieren.

wfv: Aber gerade in der Bundesliga muss man doch auch stark genug sein, gegen das Publikum „anzupfeifen“?!

Markus Schmidt: Ja, natürlich. Aber eben nicht nur – man kann nicht permanent gegen das Publikum pfeifen. Ich kann zum Beispiel in Dortmund nicht alle Freistöße gegen die Heimmannschaft pfeifen, irgendwann muss man auch mal wieder einen finden, der für Dortmund ist. Sonst werden nicht nur die Fans, sondern vor allem die Spieler und Offiziellen ganz wild – die Stimmung überträgt sich ja. Das heißt aber nicht, dass Dortmund einen unberechtigten Elfmeter deswegen bekommt! Ich rede von einem belanglosen, aber durchaus vorhandenen Foulspiel im Mittelfeld, das die Stimmung wieder etwas beruhigt und für die notwendige Balance sorgt. Dieses Prinzip, die Balance zu finden, das ist von der Kreisliga über die Jugend bis hin zur Bundesliga oder Champions League genau das Gleiche.

wfv: Auch der beste Bundesliga Schiedsrichter ist ja nur ein Mensch, der auch Fehler macht. …

Markus Schmidt: Stimmt, das vergessen aber leider die meisten, wenn es um „Ihren“ Verein geht. (lacht)

wfv: … Einige Schiedsrichter hängen aufgrund von sehr harter Kritik oder negativen Erlebnissen ihre Pfeife an den Nagel. Können Sie das nachvollziehen?

Markus Schmidt: Klar, menschlich kann ich das völlig nachvollziehen, weil man sich ja einem schweren Job aussetzt. Aber ich finde es in erster Linie einfach schade, weil Schwierigkeiten schon dazu gehören. Das ist eine Lebensweisheit, die gilt eben auch in der Schiedsrichterei. Da stößt man vielleicht besonders schnell auf Widerstände, weil es, wie gesagt, immer eine Partei gibt, gegen die man entscheidet. Aber gerade das stärkt einen doch, das ist der Reiz an der Aufgabe des Schiedsrichters und auch ein stückweit, wenn man es schafft damit umzugehen, der Spaß. Jetzt in der Coronazeit, wo wir keine Zuschauer haben, merkt man deutlich, dass es allein schon deshalb weniger Freude macht, weil die Herausforderung fehlt, auch das Publikum mitzuführen und „zu leiten“. Wenn man allerdings körperlich angegangen wird, das ist ein absolutes No-Go, da gäbe es eine Grenze, die auch für mich irgendwann überschritten wäre. Aber trotzdem glaube ich – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – muss der Schiedsrichter sofort wieder auf den Platz und weitermachen, ähnlich wie ein Skispringer, der gestürzt ist. Man sollte möglichst schnell mit positiven Erlebnissen fortfahren und sich durchbeißen, das sorgt am Ende dafür, dass man besonders stolz drauf ist.

wfv: Sie sind Personalchef bei der S-Bahn in Stuttgart. Was bringen Ihnen die Erfahrungen, die Sie auf dem Platz gemacht haben, auch in Ihrem Job oder in anderen Lebenssituationen?

Markus Schmidt: Man lernt ganz viele Dinge als Schiedsrichter auf dem Spielfeld, die man im „richtigen“ Leben auch brauchen kann: von Empathie über Durchsetzungsfähigkeit bis hin zu Klarheit und Konsequenz und vielem mehr. Dadurch, dass man etwas Ähnliches schon mal in verschiedenen Formen auf dem Platz erlebt hat, geht man gelassener an etwas ran und hat vielleicht einen Plan, wo jemand anderes kopflos, hektisch oder unsicher wird. Vermutlich habe ich mehr Vertrauen in meine Handlungsfähigkeit.

wfv: Also Sie würden schon sagen, dass Sie entscheidungsfreudiger und selbstbewusster sind durch die Schiedsrichterei?

Markus Schmidt: Das ist fast eine rhetorische Frage, die ich tatsächlich differenziert beantworten muss. Selbstbewusster würde ich voll unterstreichen, entscheidungsfreudiger bin ich nicht immer. Ich kann durchaus vor einer Speisekarte sitzen und mir ein paar Minuten überlegen, was ich jetzt esse (lacht). Aber meine Fähigkeiten auf dem Platz, die ich brauche, um zu einer guten Entscheidung zu kommen, die helfen mir natürlich schon im beruflichen Leben. Insbesondere glaube ich, angstfreier mit Situationen umzugehen – was soll denn passieren? Schlimmstenfalls sind ein paar Menschen mit meinen Entscheidungen unzufrieden, das äußert sich aber im geschäftlichen Umfeld normalerweise weit weniger heftig als im Stadion, wenn einen 70.000 Zuschauer auspfeifen und am liebsten an den Kragen wollen. Wie haben Sie vorher so schön gesagt: Schiedsrichter sind nur Menschen. Das stimmt – und heißt, ich mache auch Fehler und ich bin auch nicht immer entscheidungsfreudig. Und das darf auch so sein.

„Nimm dir kleine, aber realistische Ziele vor“

wfv: Immer weniger Menschen wollen Schiedsrichter werden. Warum denken Sie, ist das so?

Markus Schmidt: Ich glaube, dass ein Teil damit zu tun hat, dass es den Menschen insgesamt schwerer fällt, Verantwortung zu übernehmen für ihre eigenen Taten, für ihre eigenen Bedürfnisse, aber auch für die Gemeinschaft. Als Schiedsrichter muss man viel und oft Verantwortung übernehmen: für seinen Entscheidungen, für seine Fehlbarkeit und dafür, dass man sich ja auch einigen Entbehrungen aussetzt. Wir beleuchten jetzt viele positive Seiten, aber natürlich ist man oft bei Geburtstagen oder anderen Feierlichkeiten, Partys etc. nicht dabei, weil man sein Versprechen einlöst, ein Spiel zu pfeifen. Das fängt auch schon früher in der Jugend oder der Kreisliga an, insbesondere wenn man das ernsthaft, mit Nachdruck und Ehrgeiz betreibt, weil man etwas erreichen möchte. Auch dafür muss ich Verantwortung übernehmen, dafür einstehen und das will der ein oder andere vielleicht nicht mehr.

wfv: Was ist ein Tipp, den Sie jungen angehenden Schiedsrichtern mit auf den Weg geben wollen?

Markus Schmidt: Wenn mich früher einer gefragt hat, was willst du erreichen in der Schiedsrichterei, dann haben ich am Anfang höchstens mal gesagt: Ich will in die Landesliga, weil man da nicht mehr alleine, sondern zu dritt unterwegs ist und ich will dieses Team führen. Als ich in der Landesliga war, wollte ich in die Oberliga und erst danach war mein Ziel die Bundesliga. Heute höre ich von jungen Nachwuchsleuten, die noch keine 100 Spiele gepfiffen haben, sie wollen in die Bundesliga. Das funktioniert so nicht. Also ich würde sagen, nimm dir kleine, aber realistische Ziele vor und schau, ob und wie du sie erreichen kannst. Und dann nimm dir die nächsten vor und sehe die kleinen und schönen Erfolge, zum Beispiel ein gutes Spiel gepfiffen zu haben. Finde das, was dich antreibt und setzte es um. Und wenn es der Antrieb ist, ich will meinem Heimatverein helfen, damit der keine Strafe zahlen muss für zu wenig Schiedsrichter und ich mache dafür 20 Spiele, ist das auch okay.

wfv: Der Slogan unserer Kampagne lautet „#noSchirinoGame“. Würden Sie das so unterschreiben?

Markus Schmidt: Ja, das stimmt. Es gibt zwar auch Versuche in der Jugend, wo man versucht ohne Schiedsrichter ein gerechtes Spiel hinzubekommen. Aber grundsätzlich ist der Schiedsrichter ein wesentlicher Teil des Spiels – und soll trotzdem im Hintergrund bleiben. Die Leute schauen ein Fußballspiel ja nicht wegen dem Schiri an, sondern wegen den Stars, den Tricks und den Toren. Ein Schiedsrichter kann das alles ermöglichen, wenn er gut ist. Er kann es aber auch zerstören oder hinderlich sein, wenn er sich zu sehr in den Vordergrund spielt oder es ihm an Spielverständnis und Feingefühl mangelt. Deswegen ist die Frage der Balance eine ganz zentrale in der Schiedsrichterei wie auch im Leben.

wfv: Können Sie folgenden Satz vervollständigen? Fußball ohne Schiri ist wie…

Markus Schmidt: … Currywurst ohne Curry – also letztlich unmöglich!

Zur Person

Der in Stuttgart lebende Markus Schmidt kam am 31.08.1973 zur Welt. Bei seinem Jugendverein, dem SV Sillenbuch, sammelte er erste Erfahrungen an der Pfeife, ehe er 1997 zum DFB-Schiedsrichter aufstieg. Seit 2003 leitete Schmidt, der dem wfv angehört, insgesamt 187 Bundesliga-Partien. Hauptberuflich arbeitet der 47-Jährige als Personalleiter bei der Stuttgart S-Bahn. In seiner Freizeit tritt der 1,88 Meter große Schmidt gerne selbst gegen den Fußball, darüber hinaus führt er Minigolf und Musik als weitere Hobbys an.