Gesichter des Frauenfußballs in Württemberg: Marianne Mittnacht | Württembergischer Fußballverband e.V.

Interview

Gesichter des Frauenfußballs in Württemberg: Marianne Mittnacht

Der 31. Oktober 1970 markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs. An dem Tag wurde dieser vom Deutschen Fußball-Bund offiziell in seine Satzung aufgenommen. Seitdem sind 50 Jahre vergangen. Fünf Jahrzehnte, in denen zahlreiche Persönlichkeiten den Weg bereitet haben. Sie haben sich gegen Widerstände durchgesetzt, motiviert, gestaltet und inspiriert – damals wie heute. Zum Jubiläum rücken wir prägende Persönlichkeiten des Frauenfußballs in Württemberg in den Fokus. In unserem Interview sprechen wir mit Marianne Mittnacht, die auf eine spannende Spielerinnen-Karriere zurückblicken kann.

wfv: Sie sind eine von Deutschlands Fußballerinnen der ersten Stunde. Erzählen Sie uns doch mal, wann und wie Sie Ihre Leidenschaft für den Fußball entdeckt haben.

Marianne Mittnacht: Mir wurde der Fußball quasi in die Wiege gelegt. Von klein auf, als ich etwa drei Jahre alt war, spielte ich schon mit den Jungs. Außerdem durfte ich auf dem nächstgelegenen Fußballplatz mit dem Platzwart zusammen den Rasen mit Sägemehl für das Sonntagsspiel der Herren vorbereiten. Ich war bei jedem Spiel der Aktiven dabei und so entwickelte sich allmählich meine Leidenschaft. In der Nähe unserer Wohnung befand sich eine Firma, deren Mitarbeiter in der Mittagspause Fußball spielten. Dort spielte ich regelmäßig mit.

wfv: 1960, also bereits zehn Jahre bevor der DFB das Spielverbot für Frauen aufhob, spielten Sie vier Jahre lang bei den D-Junioren Ihres Heimatvereins TSV Waldhausen. Wie haben Sie das damals empfunden? Und wie waren die Reaktionen von Ihren männlichen Kollegen?

Marianne Mittnacht: Es gab keine negativen Reaktionen, wenn ich mit den Jungs Fußball spielte. Im Gegenteil, ich wurde von meinen männlichen Kollegen akzeptiert und sehr wertgeschätzt. Diese Akzeptanz resultierte aus meinen guten Leistungen auf dem Fußballplatz, denn ich konnte mit zahlreichen Toren punkten. Von unseren Gegnern wurde ich oftmals nicht als Mädchen wahrgenommen und trug in meiner Mannschaft den Spitznamen „Martin“.

wfv: Als 1970 das Spielverbot vom DFB aufgehoben wurde, spielten Sie beim VfL Schorndorf in der Frauenmannschaft. Wie war diese Anfangszeit für Sie? Gab es Widerstände?

Marianne Mittnacht: Der VfL Schorndorf war mit der Gründung einer Frauenmannschaft Vorreiter in der Umgebung. Deshalb war der Zulauf der Frauen, von überall her, sehr groß. Schnell absolvierten wir Trainingseinheiten und konnten die ersten Mannschaften gründen. Allerdings wurden wir als fußballspielende Frauen ständig belächelt mit den Worten „das mit dem Frauenfußball hört eh bald wieder auf“. Natürlich standen solche Sprüche wie „Frauen gehören besser an den Herd“ auf unserer Tagesordnung. Davon ließen wir uns jedoch nicht unterkriegen. Wir gewannen eine Meisterschaft nach der anderen und aufgrund unserer guten Leistungen verstummten die Kritiker immer mehr.

wfv: Sie waren damals sehr erfolgreich, wurden mehrfach württembergische Meisterin und Pokalsiegerin. Welche Stationen folgten in Ihrer aktiven Fußballlaufbahn?

Marianne Mittnacht: Wir durften uns neunmal württembergische Meisterinnen und fünfmal Pokalsiegerinnen nennen. Das war schon eine tolle Zeit beim VfL Schorndorf. Ich hatte während dieser Zeit auch einige Anfragen von anderen Vereinen vorliegen, wie zum Beispiel vom TSV Crailsheim oder vom SV Eintracht Stuttgart. Besonders spannend war eine Anfrage vom FC Padua aus Italien im Jahre 1975, aber letztendlich blieb ich dem VfL als Spielerin treu. Zum Abschluss meiner aktiven Zeit war ich als Trainerin beim VfL Schorndorf in der Oberliga tätig und kurzzeitig für den FV Faurndau aktiv, bei dem ich dann von 1995 bis 2015 als Spielleiterin fungierte und weitere ehrenamtliche Tätigkeiten übernahm.

wfv: Woran erinnern Sie sich heute noch besonders gern?

Marianne Mittnacht: Ich erinnere mich noch gern an das erste Spiel der wfv-Auswahl im Jahr 1980 zurück, bei dem ich die Spielführerbinde trug und gegen die bayerische Auswahl vor 1.500 Zuschauern im Stadion des FC Normannia Gmünd spielen durfte. Nicht alltäglich damals. Ein ganz besonderes Erlebnis gab es für mich aber 1977, als wir beim Abschiedsspiel von Franz Beckenbauer im Olympiastadion in München das Vorspiel gegen die Frauen des FC Bayern München bestreiten durften. Das war einmalig.

wfv: Wie nehmen Sie die Entwicklung des Frauenfußballs wahr? Und was wünschen Sie sich für die nächsten 50 Jahre Frauenfußball, vor allem auch für die aktiven Fußballerinnen?

Marianne Mittnacht: Der Frauenfußball hat sich in einer positiven Art und Weise professionalisiert. Die aktiven Fußballerinnen haben heute viel mehr Möglichkeiten und vor allem bessere Voraussetzungen als wir damals. Dennoch ist das aus meiner Sicht noch nicht ausreichend. Wir dürfen uns nicht auf den Erfolgen der vergangenen Jahre ausruhen. Deutschland ist eine große Fußballnation, aber leider noch sehr von Männern dominiert. Wir müssen mehr fördern und fordern. Angefangen bei den Fernseh-Zeiten für die Frauenmannschaften, der Bezahlung und den Bedingungen für die aktiven Fußballerinnen bis hin zur Darstellung von Frauenfußball in den Medien, bei den Vereinen und Verbänden. Es gibt also noch genug zu tun.

Das Gespräch führte Saskia Schaborak